On the ... sunny side of the street |
Samstag, 14. August 2010
Wir gingen durch den dunklen Regen. Sein älterer Bruder sei damals gestorben, mit dem anderen habe er seit langem nicht gesprochen. Ich berührte seine Hand, atemlos. Familien haben ein geheimes inneres Leben, das pulsiert und die Geschicke der Mitglieder lenkt. Dieses Innere ist das Unausgesprochene, was jeder weiß und nicht weiß, was ungesagt weitergetragen wird in Verbitterung, in Scham, in Trauer, in Verletzungen. Es gibt Geflüster hinter vorgehaltener Hand. Kriegswunden, Missbrauch, Krankheiten, unglückliche Liebschaften, Ehebrüche, Gewalt. Manches offenbart erst der Tod. Ein Ereignis kann das Leben bis zum Ende bestimmen. Ein Autounfall ohne Tote kann die Kindheit einfrieren in einem Menschen. Er verschwand in sich. Ich zitterte und verfluchte meine Gier nach der Dunkelheit. Ich musste allein den ganzen Weg durch Kälte und Regen zurück. Plötzlich blieb er im Schatten zwischen zwei Laternen stehen, öffnete meine Jacke und schob seine Hände auf meine kalte Haut. Er sah mich an. Wir sahen uns an. Sein Blick war eine Mischung aus exakt einer Hälfte Flehen und einer Hälfte Bestimmen. Sein Geruch nahm mir den Verstand und die Sinne für irgendetwas anderes. Meine Finger wanderten automatisch in seine Hose. Er schloss die Augen. Ich drückte mein Gesicht in den dampfenden Duft seiner Lederjacke. Ich hörte ihn. Er klang traurig und verzweifelt. „Verlass mich nicht. Wenn du mich verlässt, töte ich dich.“ Wir verabschiedeten uns mit einem Händedruck. Ich schaute mir nie seine erleuchteten Fenster an.
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